Zurück zur Übersicht
D

Pierre Graber

Was tun?

Pierre Graber

Worum geht es?

Ein durch eine Paketbombe verursachter Absturz einer Swissair-Maschine, ein Anschlag am Flughafen Zürich-Kloten und dann eine Flugzeugentführung mit Geiselnahme: Der 1970 amtierende Bundesrat Pierre Graber musste sich den anhaltenden terroristischen Aktivitäten der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO stellen. Aufgrund eines 72-stündigen Ultimatums fühlte sich der Bundesrat dazu gezwungen, sich auf einen Deal mit den Geiselnehmer:innen einzulassen. Um das Überleben der nach Jordanien verschleppten Geiseln zu sichern, ordnete er die geforderte Freilassung von drei in der Schweiz inhaftierten Terrorist:innen an. Wie reagierte die Schweizer Öffentlichkeit auf den Entscheid des Bundesrates, mit Terrorist:innen zu verhandeln, und wie beurteilte Graber später das Einknicken der Regierung?

Quellen und Meinungen

Rechtfertigung des Bundesrats

Pierre Graber rechtfertigte die Bundesratsentscheidungen vor den Aussenpolitischen Kommissionen des National- und des Ständerates, 15. September 1970 (Auszüge aus dem Sitzungsprotokoll, übersetzt):

Wir haben uns aus humanitären Gründen dazu entschlossen, dieser Erpressung nachzugeben […]. Ich wiederhole, dass unsere Entscheidung nicht leichtfertig getroffen wurde, denn es ist äusserst schmerzhaft, wenn man sich über die Grundregeln unseres Staates hinwegsetzt oder gar dagegen verstösst. Die Öffentlichkeit stellte sich die Frage, ob es nicht logischer gewesen wäre, die Gefangenen freizulassen, bevor sie dazu gezwungen wurden, da die Behörden mit einem solchen Ereignis gerechnet hatten. Sie werden mit mir übereinstimmen, dass ein Staat wie der unsere eine solche Initiative nur unter Zwang ergreifen konnte. Stellen Sie sich nur einmal die Reaktion des Schweizer Volkes vor, wenn die Regierung so gehandelt hätte! Und die des Auslands, in dessen Augen die Schweiz zweifellos zum Gespött geworden wäre! [S. 4]

Der Preis [für die Freilassung der Geiseln] war überraschend günstig. […] Ausserdem hatten wir keinen Spielraum, um zu feilschen. [S. 5]

Der Regierung wurde auch vorgeworfen, sich nicht von Beginn der Krise an mit den drei betroffenen Staaten abgestimmt zu haben. Ich möchte daran erinnern, dass es anfangs nur um die Freilassung der drei Häftlinge in Zürich im Austausch gegen die beiden Flugzeuge der Swissair und der TWA mit ihren Passagieren und Besatzungen ging, also nur um unser Land. Unsere Entscheidung, diese Bedingungen zu akzeptieren, war bereits gefallen, als die Meldung der Agence France-Presse eintraf, dass die Bundesrepublik Deutschland, Grossbritannien und in gewisser Weise auch die USA insofern involviert seien, als die PFLP sowohl in London als auch in Bonn [damaliger Sitz der westdeutschen Regierung] Forderungen stellte. [S. 6]

Herr Lusser [Präsident der ständerätlichen Kommission]: Ich danke Herrn Bundesrat Graber im Namen der ständerätlichen Kommission. […] Die Kritik am Bundesrat richtete sich hauptsächlich gegen sein schnelles Einlenken auf die Forderungen der PFLP. Persönlich bin ich der Ansicht, dass der Bundesrat richtig gehandelt hat. Hätte er nicht nachgegeben und wären die Forderungen nachträglich erhöht worden, so hätte man ihm vorgeworfen, die Eskalation der Forderungen provoziert zu haben. […]

Herr Graf: Ich danke dem Bundesrat und besonders Herrn Bundesrat Graber für seine Haltung. Keiner der von der Kritik erteilten Ratschläge hätte weitergeführt. Die Schweiz ist angegriffen worden. Swissair-­Präsident Berchtold hat recht mit seiner Feststellung, dass Kriegszustand herrscht. Zuerst war der Überfall in Kloten, dann der Absturz bei Würenlingen und nun die Entführung und Festhaltung von Geiseln. […] Wo ist auch die Polizei zum Schutz der Flugzeuge? Gegen Gruppen wie die PFLP sind wir wehrlos. Unsere Armee bereitet sich auf einen Krieg vor, den es vielleicht nie mehr geben wird. Es stellen sich Fragen über Fragen. [S. 9]

Q
Quelle

Aus den Memoiren von Pierre Graber

In seinen Memoiren – aus 22 Jahren Distanz – gestand Pierre Graber allerdings ein, einen Fehler begangen zu haben (übersetzt):

Der Bundesrat hatte jedoch einen folgenschweren Fehler begangen, als er seinen Grundsatzentscheid vom 7. September vorschnell veröffentlichte. [...] Mildernde Umstände: Die kurze Frist, die von den Terroristen gesetzt wurde, erforderte eine umso schnellere Reaktion, je problematischer ihr Zustandekommen war. Ausserdem sollte die Gefahr vermieden werden, dass der fragile und zufällige Kontakt der Fedayin [palästinensische Flugzeugentführer:innen] mit dem IKRK [Internationales Komitee vom Roten Kreuz] abbricht. Und schliesslich war man überzeugt, dass man sich beeilen musste, um den Deal des geringsten Übels zu akzeptieren, da die Dinge so waren, wie sie waren, und so abscheulich er auch sein mochte. Die Schweizer Regierung, die an diesem Tag noch allein war, hatte die Möglichkeit, alle Geiseln und die beiden Flugzeuge von Zerqa zu retten, indem sie nur die drei Gefangenen von Regensdorf freiliess.

Doch es gab noch einen weiteren, entscheidenden Faktor, der der Regierung einen Strich durch die Rechnung machte. Unmittelbar nach dem Athener Coup Ende Juli [Flugzeugentführung in Athen] und in Erwartung eines möglichen neuen Terroranschlags auf unser Land hatte sie ihre Doktrin in dieser Frage ausgearbeitet. [...] Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung war der Bundesrat gut, vielleicht zu gut, auf das Ereignis vorbereitet. [...]

Dieser anfängliche Fehler führte zu einem Unbehagen, unter dem die Regierung litt. Er betraf nicht den Inhalt der Entscheidung vom 7. September, sondern den Zeitpunkt und die Art und Weise ihrer Bekanntgabe. Das Unbehagen, das bei uns endemisch ist, nahm übertriebene Ausmasse an, so dass das Wesentliche vergessen wurde. [...]

Drei Wochen lang regnete es viel mehr Kritik auf das Aussenministerium als auf das Regierungskollegium. Das liegt in der Ordnung der Dinge. Die Tendenz zur Personalisierung von Verantwortlichkeiten war bereits vorhanden. Sie hat sich seitdem nur noch verschlimmert. Nach all den Anstrengungen und Ermüdungserscheinungen, die sich während der Krise angesammelt hatten, waren die Spitzenbeamten des Departements ein wenig verbittert (und ich mit ihnen).

Q
Quelle

Auslieferung der zwei inhaftierten Terroristen und der Terroristin

Q
Quelle

Amena Dahbor wurde in der Presse als emanzipierte, rauchende Anführerin charakterisiert:

Hatte man schon bei den Gerichtsverhandlungen den Eindruck erhalten, dass Amena Dahbor die weitaus Gescheiteste der drei arabischen Angeklagten war, so weiss man nunmehr aus den durchgesickerten Einzelheiten noch besser, dass die ehemalige Lehrerin aus dem Gazastreifen die treibende Kraft des Überfalls war. Für den letzten Gerichtstag hatten El Heiga und Yousef ein Schlusswort in deutscher Sprache vorbereitet, aber Amena redete ihnen das aus. Das entsprach der Haltung Amena Dahbors, die sie im zweiten Teil der Untersuchungshaft angenommen hatte. Sie war es, die ihren Mitgefangenen den Befehl zum Hungerstreik erteilte. Während aber El Heiga und Yousef die Sache ernst nahmen und richtig hungerten, trank Amena ungerührt täglich ihren Kakao.

Q
Quelle
Erweiterte Informationen einblenden

Links zu Internetressourcen

Wie geht’s weiter?

Erstellen Sie nun aus der Kernstory in der Broschüre und aus den hier angebotenen Materialien Ihren Podcast.